Über Märchen: Unterschied zwischen den Versionen

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(Fortsetzung der Inhaltsangabe)
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# Woher kommen die Märchen?
# Woher kommen die Märchen?
# Wozu dienen Märchen?
# Wozu dienen Märchen?
Die erste Frage behandelt er ausgehend von dem Eintrag ''fairy-tale'' in einem Ergänzungsband zum ''Oxford English Dictionary''. Demnach ist ''fairy-tale'' zunächst eine Erzählung über ''fairies'', also ''Feien'' (es werden im Aufsatz gleichbedeutend auch die Begriffe ''Feen'' und ''Elben'' verwendet). Tolkien weitet diese enge Definition aus auf alle Geschichten von ''Faerie'', "dem Reich oder Zustand, in dem Feien ihr Dasein haben." ''Faerie'' umschreibt er als Magie oder Verzauberung: Elbenkunst, nach der die menschliche Fantasie trachte. Ein wichtiges Merkmal der Märchen, selbst der satirischen, ist für Tolkien, dass ebendiese Magie, die den Raum für solche Erzählungen bildet, ernst genommen und als wahr hingestellt wird. In diesem Sinne grenzt er solche Erzählungen, in denen von Verzauberung nur geträumt wird, nachdrücklich vom echten Märchen ab, ebenso Reiseerzählungen (da sie in dieser unseren "primären Welt" spielen) und Tierfabeln (da Märchen in erster Linie von Abenteuern der Menschen im Feenreich handeln).
Die erste Frage behandelt er ausgehend von dem Eintrag ''fairy-tale'' in einem Ergänzungsband zum ''Oxford English Dictionary''. Demnach ist ''fairy-tale'' zunächst eine Erzählung über ''fairies'', also ''Feien'' (es werden im Aufsatz gleichbedeutend auch die Begriffe ''Feen'' und ''Elben'' verwendet). Tolkien weitet diese enge Definition aus auf alle Geschichten von ''Faerie'', "dem Reich oder Zustand, in dem Feien ihr Dasein haben." ''Faerie'' umschreibt er als Magie oder Verzauberung: Elbenkunst, nach der die menschliche Fantasie trachte. Ein wichtiges Merkmal der Märchen, selbst der satirischen, ist für Tolkien, dass ebendiese Magie, die den Raum für solche Erzählungen bildet, ernst genommen und als wahr hingestellt wird. In diesem Sinne grenzt er solche Erzählungen, in denen von Verzauberung nur geträumt wird, nachdrücklich vom echten Märchen ab, ebenso Reiseerzählungen (da sie in dieser unseren "primären Welt" spielten) und Tierfabeln (da Märchen in erster Linie von Abenteuern der Menschen im Feenreich handelten).


Die zweite Frage, diejenige nach dem Ursprung des Märchens, stuft Tolkien als die für seine Zwecke unwichtigste ein, da er die Märchen als das betrachten möchte, was sie selbst sind, und nicht als wissenschaftliche Belege für anthropologische Fragen.
Die zweite Frage, diejenige nach dem Ursprung des Märchens, stuft Tolkien als die für seine Zwecke unwichtigste ein, da er die Märchen als das betrachten möchte, was sie selbst sind, und nicht als wissenschaftliche Belege für anthropologische Fragen.
Fest stehe, dass Märchen uralt und universell verbreitet seien. Dabei fallen große Ähnlichkeiten vieler märchenhafter Überlieferungen auf. Die alte Streitfrage, ob es sich hierbei um eine jeweils ''selbständige Erfindung'' handle, um ein ''Erbe'' gemeinsamer Vorfahren, oder um ''Ausbreitung'' von einem räumlichen Mittelpunkt aus, erübrige sich: alle drei Elemente hätten gewiss ihren Anteil an der Entstehung der Märchen-Überlieferungen, ''Erbe'' und ''Ausbreitung'' verschöben allerdings nur das Problem des Ursprungs. Auf allen drei Wegen gelangte man letztlich zu einem ''Erfinder'' mit schöpferischer Begabung.
Fest stehe, dass Märchen uralt und universell verbreitet seien. Dabei fielen große Ähnlichkeiten vieler märchenhafter Überlieferungen auf. Die alte Streitfrage, ob es sich hierbei um eine jeweils ''selbständige Erfindung'' handle, um ein ''Erbe'' gemeinsamer Vorfahren, oder um ''Ausbreitung'' von einem räumlichen Mittelpunkt aus, erübrige sich: alle drei Elemente hätten gewiss ihren Anteil an der Entstehung der Märchen-Überlieferungen, ''Erbe'' und ''Ausbreitung'' verschöben allerdings nur das Problem des Ursprungs. Auf allen drei Wegen gelange man letztlich zu einem ''Erfinder'' mit schöpferischer Begabung.
Daher sucht Tolkien die Ursprünge des Märchens auch nicht weiter in historischen Vorgängen, sondern im menschlichen Geist, denn: "Nach dem Ursprung von Erzählungen (gleichgültig, was für welchen) zu fragen, heißt nach dem Ursprung von Sprache und Denken fragen."
Für die Entstehung des Märchens hält Tolkien die Erfindung des Adjektivs für zentral: indem der Mensch die Eigenschaften eines Gegenstandes benenne und somit vom Gegenstand selbst trenne, verfüge er über die Macht, eine ''Phantasie'' zu erschaffen, in der er die Eigenschaften der Dinge selbst bestimme. Auf diese Weise werde der Mensch zum Zweitschöpfer.
Dieser Aspekt der Mythologie, Zweitschöpfung zu sein und nicht nur allegorische oder symbolische Darstellung der primären Welt, bildet eine Trennlinie zwischen ''niederer'' und ''hoher Mythologie'', zwischen ''Volksmärchen'' und ''Mythos''.
Die früher verbreitete Auffassung, alle Mythologie sei als Allegorie aus der Natur hervorgegangen, die Götter seien entstanden aus Personifikationen von Naturereignissen und nach und nach vermenschlicht worden, hält Tolkien für verkehrt; denn die Natur erhalte ihre Persönlichkeit von Personen, natürliche Gegenstände bekämen ihre persönlichen Eigenschaften vom Menschen verliehen. Somit anerkennt Tolkien keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen ''hoher'' und ''niederer Mythologie'', da alle "mythischen Völkerschaften" an demselben Leben teilhätten.
 
 


== Entstehungsgeschichte ==  
== Entstehungsgeschichte ==  

Version vom 11. Juli 2012, 21:23 Uhr

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Über Märchen (Englischer Originaltitel On Fairy-Stories; Übersetzung von Krege) ist ein Essay des englischen Autors J. R. R. Tolkien. In deutscher Sprache erschien der Aufsatz gemeinsam mit der Geschichte Blatt von Tüftler unter dem Buchtitel Baum und Blatt.

Buchinformationen

  • Titel: „Baum und Blatt“
  • Art: Taschenbuch
  • Seitenzahl: 105
  • Übersetzer: Wolfgang Krege
  • Umschlagentwurf: Heinz Edelmann
  • Verlag: Ullstein, Frankfurt/Main; Berlin; Wien
  • Erscheinungsdatum: 1982
  • ISBN: 3 548 39039 0

Inhaltsangabe

Tolkien formuliert drei Fragen, die in einem Aufsatz über Märchen zumindest versuchsweise beantwortet werden sollen:

  1. Was ist überhaupt ein Märchen?
  2. Woher kommen die Märchen?
  3. Wozu dienen Märchen?

Die erste Frage behandelt er ausgehend von dem Eintrag fairy-tale in einem Ergänzungsband zum Oxford English Dictionary. Demnach ist fairy-tale zunächst eine Erzählung über fairies, also Feien (es werden im Aufsatz gleichbedeutend auch die Begriffe Feen und Elben verwendet). Tolkien weitet diese enge Definition aus auf alle Geschichten von Faerie, "dem Reich oder Zustand, in dem Feien ihr Dasein haben." Faerie umschreibt er als Magie oder Verzauberung: Elbenkunst, nach der die menschliche Fantasie trachte. Ein wichtiges Merkmal der Märchen, selbst der satirischen, ist für Tolkien, dass ebendiese Magie, die den Raum für solche Erzählungen bildet, ernst genommen und als wahr hingestellt wird. In diesem Sinne grenzt er solche Erzählungen, in denen von Verzauberung nur geträumt wird, nachdrücklich vom echten Märchen ab, ebenso Reiseerzählungen (da sie in dieser unseren "primären Welt" spielten) und Tierfabeln (da Märchen in erster Linie von Abenteuern der Menschen im Feenreich handelten).

Die zweite Frage, diejenige nach dem Ursprung des Märchens, stuft Tolkien als die für seine Zwecke unwichtigste ein, da er die Märchen als das betrachten möchte, was sie selbst sind, und nicht als wissenschaftliche Belege für anthropologische Fragen. Fest stehe, dass Märchen uralt und universell verbreitet seien. Dabei fielen große Ähnlichkeiten vieler märchenhafter Überlieferungen auf. Die alte Streitfrage, ob es sich hierbei um eine jeweils selbständige Erfindung handle, um ein Erbe gemeinsamer Vorfahren, oder um Ausbreitung von einem räumlichen Mittelpunkt aus, erübrige sich: alle drei Elemente hätten gewiss ihren Anteil an der Entstehung der Märchen-Überlieferungen, Erbe und Ausbreitung verschöben allerdings nur das Problem des Ursprungs. Auf allen drei Wegen gelange man letztlich zu einem Erfinder mit schöpferischer Begabung. Daher sucht Tolkien die Ursprünge des Märchens auch nicht weiter in historischen Vorgängen, sondern im menschlichen Geist, denn: "Nach dem Ursprung von Erzählungen (gleichgültig, was für welchen) zu fragen, heißt nach dem Ursprung von Sprache und Denken fragen." Für die Entstehung des Märchens hält Tolkien die Erfindung des Adjektivs für zentral: indem der Mensch die Eigenschaften eines Gegenstandes benenne und somit vom Gegenstand selbst trenne, verfüge er über die Macht, eine Phantasie zu erschaffen, in der er die Eigenschaften der Dinge selbst bestimme. Auf diese Weise werde der Mensch zum Zweitschöpfer. Dieser Aspekt der Mythologie, Zweitschöpfung zu sein und nicht nur allegorische oder symbolische Darstellung der primären Welt, bildet eine Trennlinie zwischen niederer und hoher Mythologie, zwischen Volksmärchen und Mythos. Die früher verbreitete Auffassung, alle Mythologie sei als Allegorie aus der Natur hervorgegangen, die Götter seien entstanden aus Personifikationen von Naturereignissen und nach und nach vermenschlicht worden, hält Tolkien für verkehrt; denn die Natur erhalte ihre Persönlichkeit von Personen, natürliche Gegenstände bekämen ihre persönlichen Eigenschaften vom Menschen verliehen. Somit anerkennt Tolkien keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen hoher und niederer Mythologie, da alle "mythischen Völkerschaften" an demselben Leben teilhätten.


Entstehungsgeschichte

Den Essay Über Märchen verfasst J. R. R. Tolkien in den Jahren 1938/39, also zu jener Zeit, als auch Der Herr der Ringe Gestalt anzunehmen beginnt. In einer kürzeren Fassung trägt er ihn 1938 in einer Vorlesung an der Universität von St. Andrews vor. Als ein Beitrag zu den Essays presented to Charles Williams erscheint der leicht erweiterte Aufsatz 1947 bei der Oxford University Press. Diesen Text, mit nur kleinen Änderungen, gibt im Jahr 1964 der Verlag George Allen&Unwin, London, unter dem Titel TREE AND LEAF heraus. Die deutsche Erstausgabe erscheint 1982, übersetzt von Wolfgang Krege.

Quellen

  • J. R. R. Tolkien: Baum und Blatt Klett-Cotta im Ullstein Taschenbuch, Frankfurt/Main; Berlin; Wien 1982, ISBN 3-548-39039-0, S. 9–82.