Politisches System des Auenlandes
Das Politische System des Auenlandes basiert hauptsächlich auf den „Regeln“, die vorwiegend auf Freiwilligkeit beruhen. Das Auenland ist offiziell ein Teil des Nördlichen Königreichs, genießt aber weitgehend Selbständigkeit.
Geschichte und politischer Status
Im Jahr 1600 D. Z. zogen die Falbhäutebrüder Marcho und Blanco mit Erlaubnis des Königs von Arnor von Bree aus über den Baranduin und siedelten sich im Land westlich des Flusses an. Als Gegenleistung wurde lediglich von ihnen verlangt, dass sie die Straßen und Brücken des Königs in Ordnung hielten und seine Oberhoheit anerkannten. Dieses Arrangement kann als Gründungsmoment des Auenlandes betrachtet werden.
In der Folge genossen die Bewohner des Auenlandes weitgehende Unabhängigkeit. Lediglich ihre Regeln führten sie auf die Autorität des Königs zurück - auch dann noch, als das nördliche Königtum längst nicht mehr bestand.[1]
Nach dem Ringkrieg und der Wiederherstellung des Königtums verkündete König Elessar einen Erlass, der das Auenland zum Freien Land unter dem Schutz des Nördlichen Zepters machte und es Menschen verbot, das Auenland zu betreten.[1][2]
Gesellschaftliche Verfasstheit und Politik
Das ländlich geprägte Auenland kann im Grunde als Ständegesellschaft beschrieben werden. Es gab zwölf aristokratische und wohlhabende Hobbitfamilien (Edelhobbits): die Beutlins, Boffins, Bolgers, Brandybocks, Grubers, Hornbläsers, Lochners, Pausbackens, Sackheims, Stolzfußens, Straffgürtels und die Tuks.[3] Diese weitverzweigten Familien lebten von ihrem ererbten Vermögen bzw. von ihrem Landbesitz und regelten ihre Angelegenheiten weitgehend selbst.[1] (Eine Ausnahme stellten - als Seitenzweig der Beutlins - die Sackheim-Beutlins dar, die vom einträglichen Anbau des Pfeifenkrauts leben.)[4] Nach menschlichen Begriffen entsprachen diese Familien allerdings eher Großbürgern als Aristokraten.[1]
Die restlichen Bewohner des Auenlandes waren mehrheitlich Bauern, Dienstleute und kleine Gewerbetreibende (z. B. Handwerker, Müller oder Gastwirte). Auch in diesen Schichten war die Großfamilie die bedeutendste gesellschaftliche Einheit. Großfamilien wie die Tuks in ihren Groß-Smials in Tuckbergen und die Brandybocks im Brandygut in Bockland lebten auf ihren Ländereien weitgehend unabhängig vom restlichen Auenland.[1] Die besondere Bedeutung der Familie Beutlin rührte nicht von ihrem Reichtum oder ihrem Landbesitz, sondern von ihrer Rolle im Ringkrieg. (Allerdings war den anderen Bewohnern des Auenlandes nicht bewusst, welche große Rolle sowohl Bilbo und Frodo Beutlin, als auch Samweis Gamdschie, Peregrin Tuk und Meriadoc Brandybock gespielt haben.)[5]
Diese Ständegesellschaft beruhte eher auf gegenseitiger Anerkennung als auf politischem Zwang. Klassengegensätze waren im Ansatz vorhanden, aber die Hobbits begegneten sich mit gegenseitigem Respekt. Daraus und aufgrund des materiellen Wohlstands des Auenlandes erklärt sich wohl das weitgehende Fehlen politischer Institutionen und Ausgleichsmechanismen. Das Subsidiaritätsprinzip ist in der auenländischen Gesellschaft, wohl bedingt durch die starke Stellung der Großfamilien, hervorragend verwirklicht.[1]
Institutionen und Behörden
Der Ehrenvorrang unter den auenländischen Ämtern gebührte dem Thain. Dieser war Stellvertreter des Königs, Vogt der Auenland-Versammlung und Hauptmann der Auenland-Heerschau. Die Auenland-Versammlung und die Heerschau wurden nur in Krisenzeiten einberufen, welche im Auenland äußerst selten vorkamen, weswegen das Amt des Thains im Grunde ein Ehrentitel war. Er wurde die ersten 361 Jahre in der Familie der Altbocks vererbt und ging anschließend an die Familie Tuk über.[1][6]
De facto weitaus bedeutendster Amtsträger war der Bürgermeister von Michelbinge, der größten Ansiedlung des Auenlandes. In seinen Zuständigkeitsbereich fiel die Aufsicht über Behörden wie die Post und die Landbüttel. Die Post war die wichtigste dieser Behörden, da die Hobbits sehr kommunikationsfreudig waren.[1] Darüber hinaus beschränkte sich die Amtstätigkeit des Bürgermeisters auf die Eröffnung von Banketten u.ä. Zur Beratung standen dem Bürgermeister sogenannte Hobbit-Honoratioren zur Verfügung, bei denen es sich wohl um lokale Gutsherren oder Großgrundbesitzer gehandelt hatte. Allerdings hielten sich die politischen Besprechungen wohl in Grenzen, so dass vorrangig über die Speisenabfolge bei Auenland-Banketten gesprochen wurde.[7]
Die Landbüttel waren für die innere Sicherheit des Auenlandes zuständig. Da die auf den König zurückgeführten Regeln fast uneingeschränkte Anerkennung genossen (und dem Einzelnen anscheinend fast uneingeschränkte Freiheit ließen), hatten die Landbüttel nicht sonderlich viel zu tun. Eine Sondereinheit der Landbüttel waren die Grenzer, welche die Grenzen des Auenlandes bewachen sollten.[1]
Eher der gesellschaftlichen Tradition als der politischen Nomenklatur entstammte die Bedeutung von Ämtern wie dem Thain und dem Herrn von Bockland, die als Oberhäupter der Familien Tuk und Brandybock über weitverzweigte Familienimperien zu regieren hatten. Nach dem Ringkrieg, im Vierten Zeitalter, kam die neu begründete „Edelhobbitfamilie“ der Schönkinds hinzu. Deren Oberhaupt war vom Thain zum Verweser der Westmark ernannt worden, der somit wohl eine ähnliche Rolle eingenommen hatte wie der Thain und der Herr von Bockland.[2]
Die Ernennung von Thain Peregrin, dem Herrn von Bochland Meriadoc und dem Bürgermeister Samweis von Michelbinge zu Ratsherren des Nördlichen Königreichs durch König Elessar bedeutet wohl nicht die Errichtung eines ständigen regierungsähnlichen Gremiums.[2]
Der weitgehend zeremonielle Charakter sämtlicher Ämter war Ausdruck nahezu vollständiger Abwesenheit von staatlicher Herrschaft in der auenländischen Gesellschaft und war ihr besonderes Charakteristikum.
Landesverteidigung
Die Streitmacht des Auenlandes waren die Hobbit-Wehren. Da diese jedoch kein stehendes Heer waren, wurde die Verteidigung des Auenlandes im Dritten Zeitalter faktisch von den Waldläufern des Nordens übernommen.[1]
Sonstiges
- Der ausgeprägte Sinn der Hobbits für Höflichkeit, Gastfreundschaft und familiären Zusammenhalt nahm in der auenländischen Gesellschaft häufig die Funktion von Gesetzen und verbindlichen Regeln ein. Die königlichen Gesetze genossen zwar hohes Ansehen, jedoch kamen Straf- und Zivilrecht im Grunde nie zum praktischen Vollzug, was das völlige Fehlen eines Justizsystems erklärt.[1]
- Die drei Hobbitstämme der Falbhäute, Starren und Harfüße spiegelten sich in den lokalen Eigenheiten der Auenlandregionen wider, spielten im politischen System jedoch keine direkte Rolle.[1]
- Die fremdenfeindliche und provinzielle Seite der Auenländischen Gesellschaft kam im Verhalten gegenüber Fremden zum Vorschein: Während Zwerge, die als Handelsreisende häufig das Auenland über die Oststraße durchquerten, gerade noch geduldet wurden, galten Menschen und Zauberer als mehr oder minder unerwünscht.[8]
Hintergrund
- Das gesellschaftliche und politische Leben des Auenlandes erinnert an eine Idealisierung des ländlichen Englands des späten viktorianischen Zeitalters, in dem J. R. R. Tolkien aufwuchs. Tolkien meinte, dass das Auenland mehr oder weniger wie ein ländliches Dorf der Grafschaft Warwickshire zur Zeit des diamantenen Thronjubiläums von Queen Victoria (1897) sei.[9]
- Die starke Betonung der Familie und des Subsidiaritätsprinzips erinnert zudem an die katholische Soziallehre, von welcher der gläubige Katholik Tolkien wahrscheinlich beeinflusst war.[10]
- Tolkien selbst bezeichnete das Auenland als „halb Republik, halb Aristokratie“.[11]
Quellen
- ↑ 1,00 1,01 1,02 1,03 1,04 1,05 1,06 1,07 1,08 1,09 1,10 1,11 J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Prolog: Über Hobbits
- ↑ 2,0 2,1 2,2 J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Anhang B, Die Aufzählung der Jahre: Spätere Ereignisse, die Angehörige der Gemeinschaft des Ringes betreffen
- ↑ J. R. R. Tolkien, Humphrey Carpenter (ed.): The Letters of J.R.R. Tolkien. Letter 25: An den Redakteur des Observers
- ↑ J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Buch VI, Achtes Kapitel: Die Befreiung des Auenlandes
- ↑ J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Buch VI, Neuntes Kapitel: Die Grauen Anfurten
- ↑ J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Anhang B, Die Aufzählung der Jahre: Das Dritte Zeitalter
- ↑ J. R. R. Tolkien, Humphrey Carpenter (ed.): The Letters of J.R.R. Tolkien. Letter 156: An Robert Murray, S.J. (draft)
- ↑ J. R. R. Tolkien: Der Herr der Ringe. Buch I, Erstes Kapitel: Ein lang erwartetes Fest
- ↑ Wayne G. Hammond, Christina Scull: The Lord of the Rings: A Reader’s Companion. Prologue, S. 23
- ↑ J. R. R. Tolkien, Humphrey Carpenter (ed.): The Letters of J.R.R. Tolkien. Letter 213: Auszug aus einem Brief an Deborah Webster
- ↑ J. R. R. Tolkien, Humphrey Carpenter (ed.): The Letters of J.R.R. Tolkien. Letter 183: Anmerkungen zu W. H. Audens Besprechung von ‘The Return of the King’
